Abschiednahme nach Organspende

Organspende

Für das Magazin DIATRA habe ich folgenden Text zur Abschiednahme nach Organspende verfasst:

Ist eine Abschiednahme nach einer Organspende möglich? Auch wenn das vielleicht nicht die erste Frage ist, die Zugehörigen bei einer Entscheidung für oder gegen eine Organspende in den Sinn kommt, scheint es mir eine wichtige Frage zu sein, über die die Zugehörigen ausreichend informiert werden sollten.

Tatsächlich sind die Ärzt*innen nach einer Organspende dazu angehalten, die Verstorbenen in einem würdigen Zustand zu entlassen und die Spuren dieses Eingriffs so weit wie möglich zu beseitigen. Der Leitfaden für die Organentnahme der Deutschen Stiftung Organtransplantation ist dazu eindeutig:

„[Es] erfolgt der sachgerechte und würdevolle Verschluss der Operationswunden. […] Der verantwortliche Entnahmechirurg, das beteiligte OP-Pflegepersonal und der DSO-Koordinator bestätigen den fachgerechten Wundverschluss, die Hautsäuberung und die Entfernung von Kathetern und Zugängen schriftlich auf der Sicherheits-Checkliste. Für alle an der Organentnahme Beteiligten ist der würdevolle Umgang mit dem Verstorbenen oberstes Gebot. Der Leichnam kann aufgebahrt werden, so dass die Angehörigen sich von dem Verstorbenen in Ruhe verabschieden können – sofern sie dies wünschen.“

Im besten Fall bleiben nach der Entnahme kleine, sauber vernähte Schnitte am Körper der Toten, die ohnehin von der Kleidung verdeckt werden können. Wird Hornhaut der Augen entnommen, macht sich das in der Regel gar nicht bemerkbar. Ich schreibe im ‚besten Fall‘ und ‚in der Regel‘, denn ich habe auch schon anderes erlebt: Wunden können grob vernäht sein, nässen und wieder aufgehen, Augen können nach der Hornhautentnahme bluten. Ob der Wundverschluss mit Sorgfalt durchgeführt wird oder nicht, ist trotz Vorschrift immer abhängig von denjenigen, die es tun. Und es ja auch menschlich, dass sich Ärzt_innen und Pflegepersonal mehr Mühe geben, wenn sie wissen, dass das Ergebnis noch einmal gesehen und wertgeschätzt wird, also, wenn sie davon ausgehen, dass sich Zugehörige von dem toten Körper verabschieden werden. Bei der Zustimmung zur Organentnahme meiner Zugehörigen würde ich mit Nachdruck darauf hinweisen, dass ich mich nach dem Eingriff noch von ihnen verabschieden möchte.

Für uns Bestattende beginnt die Arbeit nach der „Entlassung“ aus dem Krankenhaus. Einen Toten zu versorgen und anzukleiden, heißt für uns vor allem liebevolles Zuwenden – und das tun wir oft mit den Zugehörigen zusammen. Dazu gehört auch die Versorgung der Wunden. Manche Zugehörige wollen sich noch einmal ganz intensiv mit den Wunden auseinandersetzen und streicheln sie, ölen sie ein oder wollen sie selbst verbinden. Diese Pflege des toten Körpers ist dann vor allem ein letzter Liebesdienst am Verstorbenen. Manche Zugehörige begreifen den Tod eines geliebten Menschen erst, wenn sie seinen Körper anfassen und feststellen, dass kein Leben mehr in ihm ist. Die unmittelbare Abschiednahme vom toten Körper ist für viele Menschen einer der wichtigsten Schritte im Bestattungsprozess.

Die Entscheidung für oder gegen eine Organentnahme ist von vielen Faktoren abhängig. Aus meiner Sicht als Bestatter gilt festzuhalten: Wer einer Organentnahme zustimmt, muss keinen entstellten Körper befürchten, im Gegenteil. Auch nach einer Organentnahme ist es möglich, sich dem Verstorbenen liebevoll zuzuwenden und mit ihm in Verbindung zu gehen.

Autor: julian.heigel

Bestatter

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert