Thanatos in der griechischen Mythologie
Thánatos (θάνατος) ist das altgriechische Wort für Tod. In der griechischen Mythologie ist Thanatos der Gott des Todes. Seine Charakterisierungen sind vielfältig, so wie die Mythologie ein Gewebe aus vielen Stimmen und Traditionssträngen ist. Thanatos wird einerseits als unerbittlich beschrieben, als einer, der mit eisernem Herzen keine Gnade kennt. Diejenigen, die er einmal erwählt hat, lässt er nicht mehr aus seinen Klauen. Den Todgeweihten schneidet er mit einem Messer eine Locke ab. Aber im Gegensatz zu seiner Schwester Ker, die den grausamen Tod verkörpert, steht Thanatos auch für den sanften Tod. Mit ruhiger Bewegung senkt der Jüngling Thanatos still und traurig die Fackel des Lebens.
Neben Ker hat Thanatos viele weitere Geschwister, zum Beispiel die Oneiroi, die die Träume repräsentieren, oder die Moiren, die den Lebensfaden spinnen, zuteilen und abschneiden. Sein Zwilling ist Hypnos, der Schlaf, mit dem er oft paarweise abgebildet wird.
Die Überwindung des Todes ist ein uraltes Menschheitsthema, das sich in den klassischen Mythen mannigfach widerspiegelt. Beispielsweise bezwingt der berühmte Sisyphos den Thanatos für eine gewisse Zeit und hält so den Tod aller Menschen auf. Doch auch jener wird am Ende von Thanatos besiegt.
Eros und Thanatos
In der Neuzeit bekommt Thanatos einen anderen antagonistischen Gefährten zur Seite gestellt, nämlich den jugendlichen Gott Eros, lateinisch Amor. Zusammen durchstreifen die beiden die Lande und schießen mit ihren Pfeilen – goldene für die Liebe und knöcherne für den Tod. Andrea Alciato (†1550) erzählt in einem kommentierten Holzschnitt, wie Eros und Thanatos ihre Pfeile versehentlich vertauschen. Die Alten entflammen in Liebe, während die Jungen vorzeitig dahingerafft werden. Doch ist das wirklich versehentlich passiert oder hat Thanatos seine Finger im Spiel – wie eine andere Sage behauptet?
In der Moderne ist es Sigmund Freud, der dem ungleichen Paar Eros und Thanatos zu neuer Blüte verhilft. In seiner Schrift „Jenseits des Lustprinzips“ verlagert Freud die beiden Gegensätze in die Psyche des Menschen. Lieben und Sterben sind nun keine Naturgewalten mehr, denen der Mensch ausgesetzt ist, sondern ihm innewohnende Kräfte: Eros der erhaltende Lebenstrieb und Thanatos der destruktive, zerstörerische Todestrieb.
Doch was Freud bloß in krauser Theorie drechselt, das versinnlichen die Künste um die Jahrhundertwende mit opulenter Geste: Liebestode, Lustmorde und Todesküsse werden auf der Bühne, auf der Leinwand und sogar am Grab ausgiebig zelebriert. Immer geht es um die schicksalhafte Verbindung von Eros und Thanatos. Dabei schlägt die begehrliche Lust nicht selten in tödliche Gewalt um und dem fauligen Geruch der Décadence ist ein anziehendes Aphrodisiakum beigemischt:
Thanatos im 21. Jahrhundert
Mit dem Grauen des 20. Jahrhunderts hat der Tod all seine Poesie verloren. Wer den 2. Weltkrieg überlebt hat, kann nicht mehr über den Tod meditieren, mehr noch: im Nachkriegsdeutschland wird der Tod nicht mehr erwähnt.
Die Tabuisierung des Todes bezieht sich im 20. Jahrhundert auch auf den toten Körper. Bis heute vermeiden viele Menschen den Anblick ihrer Verstorbenen aus Angst, das letzte Bild könnte sich alpdruckhaft festsetzen und alle anderen Erinnerungen überlagern. Tod und Totenfürsorge ereignen sich deshalb in der Regel hinter verschlossenen Türen.
Eine gegenläufige Bewegung formiert sich seit den 1980er Jahren. Sie begreift den Tod wieder als Teil des Lebens und versucht in Hospizen und Trauerselbsthilfegruppen Sterben und Trauern aktiv zu gestalten. Auch die individuelle Bestattung wird quasi erfunden.
[Fortsetzung folgt.]