Rea Eldem, Gründerin der Gleichstellungsagentur IN-VISIBLE, führte dieses Interview mit Julian für ihren Blog zum Thema Gender in der Bestattung. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung von Rea.
Gender in der Bestattung
Rea Eldem: Vielen Dank, dass du dir die Zeit nimmst, mit mir zu sprechen. Kannst du mir einmal erklären, wer du bist und was du machst?
Julian: Ich bin Julian und habe Thanatos Bestattung 2017 gegründet, mit dem Ziel, ein alternatives Bestattungsunternehmen ins Leben zu rufen. Mittlerweile sind wir ein Team von vier Menschen. Wichtig ist uns, dass die Zugehörigen ihren Abschied so gestalten können, wie es für sie passend ist.
Rea: Das klingt schön. Kannst du mal etwas beschreiben, wie es sonst so ist? Also für diejenigen von uns, die sich mit der Branche bislang wenig beschäftigt haben?
Julian: Die Bestattungsbranche ist insgesamt im Wandel, aber immer noch hören wir, dass Menschen bei einem zurückliegenden Todesfall nicht wussten, dass sie Sarg oder Urne selbst gestalten dürfen, dass sie ihre Verstorbenen selbst waschen und ankleiden dürfen oder dass sie im Krematorium dabei sein können. Wenn man Dinge nicht weiß, fragt man auch nicht danach und deshalb ist es uns so wichtig, darüber aufzuklären.
Rea: Menschen, die jemanden verlieren, sind in einer sehr vulnerablen Situation. Und dann muss es ja oft ganz schön schnell gehen. Inwiefern könnt ihr Menschen besonders gut helfen, in dieser Situation eine Bestattung zu organisieren?
Julian: Erst einmal hat man als Zugehöriger meistens viel mehr Zeit, als man denkt. In den ersten zwei Tagen muss erstmal gar nichts entschieden werden. Unsere Aufgabe ist es, gemeinsam mit den Zugehörigen herauszufinden, was sie möchten.
Für uns ist es wichtig, hier verschiedene Optionen aufzuzeigen. Für manche passt beispielsweise der Friedhof als Ort für die letzte Ruhestätte gut, aber die eigentliche Trauerfeier wünschen sie sich an einem anderen Ort. Andere wollen keine klassische Trauerrede von einem*r Trauerredner*in, sondern gestalten die Trauerfeier selbst mit Beiträgen aus der eigenen Community.
Auch die Zuwendung zu den Toten spielt bei uns eine große Rolle. Nach unserer Erfahrung tut es den allermeisten Zugehörigen gut, noch Zeit mit ihren Toten zu verbringen. Früher nannte man das die Totenwache. Neben der Totenwache gibt es viele Möglichkeiten des unmittelbaren Abschieds und wir laden explizit dazu ein, diese kennenzulernen.
Rea: Der Umgang mit dem Tod und Trauern findet oft im Privaten statt. Hier greifen Familiendynamiken, die in unserer Gesellschaft auch immer von der sozialen Kategorie Geschlecht mitgeprägt sind. Was fällt dir da auf?
Julian: Grundsätzlich gibt es die Tendenz, dass sich FLINTA mehr verantwortlich fühlen für Fürsorgearbeit als cis Männer. Ich habe mal gelesen, die wichtigste Bedingung, um zu Hause sterben zu können, sei, eine Tochter zu haben. Natürlich gibt es Ausnahmen, aber ich finde, das trifft es ganz gut.
Bei der Organisation einer Bestattung sind es in der Regel FLINTA-Zugehörige, die sich verantwortlich fühlen und den größten Anteil dieser Care-Arbeit leisten. Meistens waschen FLINTA mit uns ihre Verstorbenen oder kümmern sich um Einladung oder Trauerfeier.
Cis Männer treten dagegen gerne mal protektiv in Erscheinung und versuchen ihre Partnerinnen zu schützen, was nachvollziehbar, aber in der Trauer selten hilfreich ist. Dass alte Männer sich umeinander kümmern, ohne verwandt oder verpartnert zu sein, ist leider eine große Ausnahme.
Eine Geschlechterdynamik ist auch bei der Erinnerung an Verstorbene erkennbar. Über alte Frauen wird oft gesagt, wie sehr sie sich um die Familie gekümmert haben, oder dass sie viel Gartenarbeit gemacht haben oder immer gut gekocht haben. Hinter diesem Fokus auf die Fürsorgearbeit, die die Person geleistet hat, verschwindet manchmal die Persönlichkeit.
Rea: Wie ist das für dich?
Julian: Wir begleiten oft queere Menschen. Da gibt es auch solche Dynamiken zwar auch, aber auch deutlich mehr Bereitschaft von cis Männern, sich zu engagieren.
Rea: Ich finde es immer wieder faszinierend, welche geschlechtsbezogenen Verhaltensweisen und Erwartungen sich in unterschiedlichen Lebensbereichen beobachten lassen. Gibt es jenseits der Rollenaufteilung bei den trauernden Personen auch Unterschiede bei den Bestattenden?
Julian: Ja. In einem klassischen Bestattungsunternehmen sind es vor allem cis Männer, die die Toten bewegen und tragen. FLINTA hingegen sind in der administrativen Rolle anzutreffen, sie leisten Fürsorgearbeit und betreuen die Zugehörigen. Es gibt also auch hier eine Aufteilung entlang der altbekannten Geschlechter-Rollen.
Rea: Du sagtest anfänglich, du möchtest gern Menschen dabei helfen, sich selbstwirksam zu fühlen. Hast du ein Beispiel einer Bestattung, in der euch das so richtig gut gelungen ist?
Julian: Es gibt unendlich viele Rituale des Abschieds und die Kunst ist es, das richtige Ritual für die jeweilige Gruppe zu finden. Ich gebe mal ein Beispiel: Im Vorfeld einer Trauerfeier werden alle Gäste gebeten, knapp aufzuschreiben, welche Spuren die Verstorbene bei ihnen hinterlassen hat. Auf der Trauerfeier werden diese Texte dann gesammelt vorgelesen. So können alle, die wollen, etwas zur Trauerfeier beitragen.
Rea: Danke Julian, für deine Arbeit und dafür, dass du dir die Zeit für uns genommen hast.
Gender in der Bestattung