Alessa Rhode

Was ist dir bei deiner Arbeit als Bestatterin wichtig?
Insgesamt ist es mir ein Anliegen, den Tod dort ins Leben zu holen, wo er verdrängt wird. Ich versuche Dinge besprechbar zu machen – zum Beispiel im Rahmen einer Vorsorge oder eines Workshops. Und dort, wo der Tod ins Leben gebrochen ist, versuche ich eine Stütze zu sein und dabei zu helfen die Erfahrung zu integrieren. Mir ist es wichtig, Zugehörigen Momente des Abschiednehmens zu ermöglichen. Und zwar auf eine Weise, die sich möglichst stimmig anfühlt – mit dem, was es in der jeweiligen Situation und für diese bestimmte Person braucht. Dabei versuche ich einen Raum für die unterschiedlichen Gefühle zu öffnen, die Trauer mit sich bringen kann. Für mich ist das etwas sehr besonderes, dass ich Menschen in dieser oft sehr rohen und intimen Zeit begleiten darf. Dabei möchte ich auch selbst berührbar bleiben.

Was findest du an dieser Arbeit herausfordernd?

Eine trauernde Zugehörige meinte einmal zu mir: Die ganze Zeit weinende Menschen, wie halten Sie das aus? Tatsächlich sind die Tränen jedoch nicht das, was ich aushalten muss. Sie gehören dazu und sind willkommen. Ich hadere eher mit anderen Dingen. Zum Beispiel mit den Wirren und der Starre mancher bürokratischer Vorgänge in Berliner Ämtern und auf dem ein oder anderen Friedhof. Das macht mir manchmal den Arbeitsalltag mühsam und schränkt die Handlungsspielräume ein.
Es gibt auch hin und wieder Gerüche oder bestimmte Aspekte der körperlichen Transformation von Verstorbenen, die ich herausfordernd finde. Hier hilft es, dass wir meistens im Team nicht von den gleichen Sachen herausgefordert sind und uns abwechseln können.
Eine Bestattung ist immer auch eine einmalige Sache. Ich kann nicht zu den Zugehörigen sagen, och, heute ist es ein bisschen schief gegangen, das nächste Mal wird es bestimmt besser. Sondern dieser eine Mensch wird nur einmal bestattet. Da habe ich manchmal schon schlaflose Stunden und hoffe, dass alles klappt, wie geplant.

Was heißt für dich selbstbestimmtes Bestatten?

Tatsächlich haben für mich die Rollen als Friedensfacilitatorin (mein erster erlernter Beruf) und als Bestatterin große Überschneidungen. In beiden verstehe ich es als meine Aufgabe für Menschen den Raum zu halten. Innerhalb dieses Raumes sind die Menschen selbst die Expert*innen, für das, was passieren soll. Beim Bestatten sind diese Expert*innen die Sterbenden und die Zugehörigen. Ich verstehe mich hierbei als Wegbegleiterin, als jemand die Orientierung geben kann. Und nicht als externe Dienstleisterin, an die Menschen einfach alles auslagern.

Bei Bestattungen gibt es viele Entscheidungen zu treffen – hier versuche ich Ruhe in den Prozess zu bringen und Menschen die Möglichkeit zu geben, rauszufinden, was sie brauchen. Ein Schritt nach dem anderen zu gehen. Denn oft ändern sich die Bedürfnisse im Laufe des Prozesses. Im Erstgespräch können sich Zugehörige z.B. oft nicht vorstellen, dass sie mit zur Kremation möchten. Wenn es dann so weit ist, entscheiden sich viele doch dafür. Zur Selbstbestimmung gehört für mich auch, Menschen möglichst viel Freiraum zu ermöglichen. Ein „Wir machen das so, weil es immer schon so gemacht wurde“, kann dann der richtige Weg sein, wenn es Trost spendet und Halt gibt. Wenn es sich jedoch nicht passend anfühlt, ermutige ich Menschen dazu, jenseits von Konventionen und Normen nach neuen Ritualen und Wegen des Abschiednehmens zu suchen.

Du bist Quereinsteigerin. Was hast du vorher gemacht und was hat dich zur Bestattung geführt?

Puh, wie packt man einen Lebensweg in ein paar Zeilen?
Nach der Schule haben mich Gerechtigkeitsfragen und ein Drang die großen Mechanismen der Welt zu verstehen, beschäftigt. Ich habe dadurch angetrieben Politikwissenschaften und Frieden- und Konflikttransformation studiert. Dann starb 2016 sehr plötzlich ein guter Freund von mir. Der Künstler Herwig Zens sagte mal: „Wenn Sie je vom Tod persönlich angerührt werden, gibt es eigentlich kein wesentlicheres Thema mehr“. So ein bisschen fühlt es sich für mich an. Seitdem habe ich mich auf verschiedenen Ebenen mit dem Tod auseinandergesetzt – als ehrenamtliche Hospizbegleiterin, in meinen Ausbildungen in „Medicine of grieving“ und zur Death Doula.

Ich habe bemerkt, dass es irgendwann nicht mehr um meine eigene Trauer ging, sondern darin eins meiner Lebensthemen liegt. Allerdings hatte ich keinen beruflichen Abschluss, der mich z.B. für eine hauptamtliche Tätigkeit im Hospiz qualifiziert hätte. Ich habe nach dem Studium angefangen in der außerschulischen Bildungsarbeit mit jungen Menschen zu arbeiten. Der Neugier auf den Beruf als Bestatterin bin ich dann während meiner Corona-bedingten Kurzarbeit über Praktika nachgegangen. Und 2020 habe ich bei Thanatos als Bestattungsassistenz angefangen. Seitdem lerne ich von Sarah und Julian den Beruf und begleite Menschen seit 2022 als Bestatterin. Bildungsarbeit mache ich heute noch – mittlerweile nicht nur, aber auch zum Thema Tod und Sterben. Und die Gerechtigkeitsfragen stellen sich mir auch immer noch – jetzt im Kontext von Bestattungen.

Thanatos ist ein queersensibles Bestattungsunternehmen…

…und ich bin queer! Ein Grund, warum wir gut zusammenpassen und ich mich in unserem Team wohlfühle.😊 Bestattungen sind politisch und in gesellschaftliche Systeme eingebunden, in denen Menschen unterschiedliche Diskriminierungen widerfahren können. Das finde ich wichtig mitzudenken und auch immer wieder meine eigene Arbeit dahingehend auf blinde Flecken zu überprüfen. Dadurch, dass ich selbst queer bin, fällt es mir leichter queere Lebensrealitäten mitzudenken. Ich wünsche mir, dass queere Menschen, die sich auf ihre Bestattung vorbereiten oder eine nahe Person verloren haben, ihre Kraft dafür nutzen können. Und sie nicht noch zusätzlich dafür brauchen, um mit Queerfeindlichkeit umzugehen oder um Aufklärungsarbeit zu machen.

Was hast du vom Tod fürs Leben gelernt?
Meine Begegnungen mit dem Tod führen mir immer wieder vor Augen, dass ich nicht weiß, wie viel Zeit ich fürs Leben habe. Und, dass das auch für meine Liebsten gilt. Die Nähe zur Sterblichkeit ist für mich wie ein Nordstern. Immer wieder versuche ich mein Handeln und meine Entscheidungen nach der Frage „Was zählt für dich am Ende?“ auszurichten. Im Alltag bedeutet das, mehr „Ich liebe dich“. Öfter: „Ich probiere das jetzt“. Den guten Wein nicht für später aufzuheben. Fast immer „Ja“ zu Eiscreme.
Neben diesem Aspekt, der mich der Fülle, der Wahrhaftigkeit und der Intensivität nachspüren lässt, gibt es auch einen anderen. Und zwar den, dass es manchmal einfach nichts schönzureden gibt. Dass der Tod dann keine Gnade kennt. Sondern einfach eine große Scheiße ist. Dass es dann darum geht, die Zumutung des Todes auszuhalten. Irgendwie in ihrem Angesicht noch Hoffnung zu finden, weiterzuleben.
Was diese beiden Aspekte vielleicht gemeinsam haben, ist die Erfahrung, dass Liebe und Trauer untrennbar miteinander verwoben sind. Ich kann die eine nicht ohne die andere erleben. Und es kostet Mut im Wissen um den Tod zu lieben.

Kontaktdetails

Alessa Rhode – Begleitung in Wandelzeiten
E-Mail: post@alessa-rhode.de
Website: www.alessa-rhode.de
Telefon: +49 1578 8484 139

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