Die Versorgung der Toten

Totenfürsorge

Bestatter_innen haben unterschiedliche Meinungen dazu, was eine angemessene Versorgung der Toten ist und was nicht, welcher Anblick für die Zugehörigen „zumutbar“ ist und welcher nicht.

Viele Bestatter_innen versuchen, den Toten den Anschein zu geben, als seien diese lebendig. Wir kennen dieses Bemühen von den Post-Mortem-Fotografien des 19. Jahrhunderts. Dort posieren Tote mit ihren Liebsten, sitzen auf Stühlen oder stehen mit Hilfe von Vorrichtungen sogar aufrecht. Tote sollen doch bitte nicht tot aussehen. Dahinter steckt die Angst, dass sich das letzte Bild so einprägt, dass es sämtliche Erinnerungen überlagert.

„Schminkst du die Toten auch?“, werde ich häufig gefragt. Meine Antwort ist: „ich trage Lidschatten und Lippenstift auf, wenn die verstorbene Person das selbst immer gemacht hat.“ Aber ich tue nichts, was einen Toten lebendig oder zumindest schlafend aussehen lässt. Warum sollte ich? Beim Abschiednehmen geht es unter anderem darum, dass die Zugehörigen den Tod ihrer Liebsten begreifen – und zwar im Wortsinne. Und auch das Vergehen des Körpers darf wahrgenommen werden. So fällt es leichter, den Körper der Erde oder dem Feuer zu übergeben.

Warum wir den Mund nicht zunähen

Wenn sich unsere Muskeln entspannen, entspannt sich auch der Kiefer und manchmal steht dann der Mund offen. Die meisten Toten haben den Mund etwa zwei Finger breit geöffnet. Der sperrangelweit geöffnete Schlund, der an den „Schrei“ von Edvard Munch erinnert, kommt nur bei etwa 5% aller Toten vor. Insbesondere vor diesem Anblick fürchten sich manche Zugehörige. Daher gehört es zum guten Ton von konventionellen Bestatter_innen, den Mund jedes Toten mit einer Ligatur zu vernähen. Dabei wird mit einer groben, gebogenen Nadel ein Faden von außen durch den Unterkiefer und durch die Oberlippe in die Nase gestochen, durch die Nasenscheidenwand ins andere Nasenloch geführt und auf der anderen Seite wieder herunter.

Um ehrlich zu sein, ich beherrsche diese Methode nicht. Für mich ist sie ein invasiver Eingriff, der die Toten quält. Man mag einwenden, dass die Toten ja vollkommen schmerzfrei sind, aber allein die Symbolik, jemandem den Mund zuzunähen und den Gesichtsausdruck einzufrieren, ist für mich untragbar. Gerade der Gesichtsausdruck leidet bei der Ligatur, denn die Lippen der Toten werden zusammengepresst, sodass ein verkniffener Ausdruck entsteht. Wenn Zugehörige auf den Mundverschluss bestehen, versuche ich es mit sanfteren Mitteln wie einer Kinnstütze oder dem Hochbinden des Kinnes mit einem Tuch.

Gleiches gilt übrigens für das Verschließen der anderen Körperöffnungen, nämlich der Nasenlöcher, des Anus und der Vagina. Deren Tamponierung gilt als Standard hygienischer Versorgung. Auch die Augen werden in der Regel mit sogenannten Augenkappen, also kleinen Widerhaken auf der Innenseite der Lider, verschlossen. Nach meinem Empfinden sind das grenzüberschreitende Eingriffe, die ich meinen Toten nicht zumuten möchte.

Eine gute Versorgung

Einen Toten gut zu versorgen, heißt für mich liebevolles Zuwenden. Ich versuche, es ihm so behaglich wie möglich zu machen und ihn in eine angenehme Komfortlage zu bringen. Dazu gehört, Schläuche oder Katheder zu entfernen, ihn zu waschen und ihm eigene, frische Kleider anzuziehen. Der Austritt von Flüssigkeiten kann mit einer Einlage oder Windel verhindert werden. Wenn es zum Toten passt, benutze ich wohlriechende Seifen oder ein Massageöl. Die Haare werden gebürstet und die trockenen Lippen befeuchtet. Die Augen drücke ich sanft zu, wenn sie wieder aufgehen, dürfen sie offen bleiben. Ich tue nichts, was ich nicht auch mit Lebenden tun würde.

Selbst ankleiden
© Joris Bas Backer


Autor: julian.heigel

Bestatter

7 Gedanken zu „Die Versorgung der Toten“

  1. Vielen Dank, dass ich nun einen Eindruck davon habe, wie Verstorbene in der Regel versorgt werden. Ich habe vor vielen Jahren meine Oma verabschiedet, sie hatte fahle Haut und Hände, Augen und Mund waren ein wenig geöffnet. Das war zunächst ein etwas schockierender Anblick, machte mir dann aber auch unmissverständlich klar, dass sie gestorben war. Meine Mutter ist kürzlich verstorben, hatte eine “gesunde” Gesichtsfarbe und Hände und etwas Rouge auf den Wangen (sie hatte sich Zeit Lebens nie geschminkt). Das vermittelte mir einen unwirklichen und etwas bizarren Eindruck, als würde sie schlafen, jeden Moment aufwachen und die Augen öffnen. Daher fällt es mir deutlich schwerer, die Endlichkeit und den Tod meiner Mutter annehmen zu können, als seinerzeit bei meiner Oma. Im Nachhinein betrachtet hätten wir mit dem Bestatter über unsere Wünsche bezüglich der Versorgung sprechen müssen, aber seitens des Bestatters wurde dies mit keinem Wort erwähnt und wir wussten (bis heute) nichts von alledem. Maßnahmen, wie Einlagen/Vorlagen usw., empfinde ich als selbstverständlich. Aber Maßnahmen am Körper selbst (Tamponierungen oder Ligatur etc.) verletzen nach meinem persönlichen Empfinden die Würde des Verstorbenen, da er/sie diesbezüglich nicht selbst entscheiden kann.

  2. Ich kann eine rigorose Ablehnung der Ligatur nicht nachvollziehen. 1. Viele Menschen empfinden es als würdegebend, wenn sie schön hergerichtet werden. Wenn der Mund verkniffen wirkte, war die Ligatur vielleicht nicht gut gemacht, oder die Austrocknung hat die Lippen schwinden lassen. – 2. Der Mund wird nicht durch einen brutalen Eingriff verschlossen: der Mensch schweigt aufgrund körperlicher Prozesse, aufgrund des Todes, und nicht, weil man ihn zunäht. 3. Und wenn Flüssigkeit austreten würde oder extreme Gerüche aufsteigen würden, und wir würden diese Menschen so aufbahren, dann fände ich DAS entwürdigend.
    -> Deshalb deute ich manche Vorgänge gerade aus der gegenteiligen Perspektive.

  3. Danke für den menschlichen Text und für Ihren Respekt, den Sie den Toten entgegenbringen. Ich hoffe, dass meine 96,5-jährige Mutter eine derartige Behandlung nicht durchmachen musste. Ich habe derartige Eingriffe nicht erwartet und konnte sie, falls sie geschehen sind, aus Unwissenheit nicht verhindern. Alles Gute für Sie und herzliche Grüße aus Wien Gerlinde

  4. Vielen Dank für dein menschliches und sensibles Vorgehen. Ich habe die Maßnahmen, die du beschreibst (Ligatur, Augenplatten mit Häkchen..) bei einem Bestatter gesehen und fand es würdelos.
    Ich möchte auf jeden Fall lackierte Fussnägel haben, da ich das immer trage. Leider habe ich bei meiner Mutter vor 25 Jahren es mich nicht getraut, ihr die Fingernägel zu lackieren.

  5. Jetzt weiß ich nach 25 Jahren, warum mein verstorbener Vater bei der Aufbahrung so verkniffen um den Mund aussah. Eben überhaupt nicht entspannt, sondern schlecht gelaunt. Immer wieder hab ich mir Gedanken gemacht. Jetzt bin ich erlöst. Danke

  6. Hallo Hr. Heigel,
    Ich kann ihnen nur uneingeschränkt zustimmen.
    In der Versorgung von Verstorben gibt es, selbst bei uns palliativflegerisch arbeitenden Fachkräften, allzu oft Bestrebungen, Tote “unnatürlich” herzurichten. Offene Augen oder ein offener Mund können eben nicht immer kaschiert werden und sind nun einmal Folge der nicht mehr innervierten Muskulatur und der Schwerkraft.
    Eben Natürlichkeit. Und diese versuchen wir dem Tod ja wieder zurückzugeben.
    Mit den besten Grüßen
    Nils Wommelsdorf

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